TL;DR – Das Wichtigste in 60 Sekunden
Beschaffungsmethoden regeln, wer wann wodurch Nachschub auslöst. ohne ständiges Nachdenken oder Fehlteile-Chaos. Deutsche Handwerksbetriebe verlieren durchschnittlich vier bis sieben Stunden pro Woche durch unorganisierte Materialbeschaffung. Die richtige Methode hängt von Ihrer Betriebsgröße, Ihrem Verbrauchsprofil und Ihrer Lagerdisziplin ab. Für kleine Betriebe (ein bis fünf Mitarbeiter) reicht oft Sammelbestellung mit festem Bestellrhythmus. Mittlere Betriebe (fünf bis 30 Mitarbeiter) profitieren von Bestellpunkt- oder Min-Max-Verfahren für Standardartikel plus Kanban für hochfrequente C-Teile. Größere Betriebe kombinieren mehrere Methoden und lagern Standardsortimente an Lieferanten aus (VMI). Starten Sie mit Ihren Top-30 Verbrauchsartikeln, definieren Sie klare Verantwortlichkeiten und überprüfen Sie nach vier Wochen, was funktioniert. Der Artikel erklärt alle neun relevanten Methoden, typische Fehlerquellen und gibt Ihnen ein Praxis-Setup ohne IT-Projekt.
Warum Beschaffungsmethoden über Gewinn oder Chaos entscheiden
Verbrauchsmaterial frisst in Handwerksbetrieben selten das Budget. Es frisst Zeit, Nerven, Baustellenfluss und am Ende Marge, weil irgendwer spontan losfährt, Express bestellt oder improvisiert.
Eine systematische Beschaffungsmethode ist das Regelwerk, das festlegt, wer wann wodurch Nachschub auslöst und ohne dass ständig jemand nachdenken, nachfragen oder Fehlteile organisieren muss. Betriebe ohne klare Methode verlieren durchschnittlich vier bis sieben Stunden pro Woche durch Materialengpässe, Expressfahrten und Mehrfachbestellungen bei verschiedenen Lieferanten.
Wenn Handwerker über "Bestellen" sprechen, meinen sie oft drei verschiedene Dinge:
- Bedarf entsteht (Material wird entnommen oder geht zur Neige)
- Beschaffung wird angestoßen (jemand meldet, plant oder bestellt)
- Nachschub kommt (Lieferung ins Lager oder direkt auf die Baustelle)
Beschaffungsmethoden unterscheiden sich genau darin:
- Wer löst wann wodurch die Bestellung aus
- mit welchem Regelwerk und
- welcher Kontrolle.
Dieser Beitrag ordnet die gängigen Beschaffungsmethoden und die wichtigsten Fachbegriffe, damit Sie sauber entscheiden können, welches Verfahren zu Ihrem Betrieb passt. Sie bekommen ein Glossar der Begriffe, die im Markt üblich sind, eine Übersicht der wichtigsten Methoden, eine Entscheidungshilfe mit typischen Einsatzfällen und typische Fehlerquellen aus der Praxis.
Der Wortschatz: Fachbegriffe, die Sie kennen sollten
Eine klare Methode setzt voraus, dass alle Beteiligten die gleiche Sprache sprechen. Diese Fachbegriffe tauchen in Fachgesprächen mit Lieferanten, in Warenwirtschaftssystemen und in der Beschaffungsplanung regelmäßig auf.
- Verbrauchsmaterial / Verbrauchsgüter
Material, das regelmäßig verbraucht wird und nicht dauerhaft im Betrieb verbleibt (Beispiele: Schrauben, Dübel, Kabelbinder, Handschuhe, Schleifmittel, Klemmen). - C-Teile / C-Artikel (ABC-Analyse)
Artikel mit geringem Einzelwert, hoher Anzahl und hohem Prozessaufwand. Die ABC-Analyse teilt Materialien nach Wert: A-Teile sind wertvoll aber selten, B-Teile sind Mittelklasse, C-Teile sind günstig aber zahlreich. Genau bei C-Teilen lohnt sich Prozessoptimierung am meisten, weil der Aufwand für Bestellung und Verwaltung oft den Warenwert übersteigt. - MRO (Maintenance, Repair, Operations)
Beschaffungskategorie für Instandhaltungs- und Betriebsmittel. Im Handwerk deckt sich MRO oft mit Verbrauchsmaterial plus Werkstattbedarf (Ersatzteile, Hilfsmittel, Reinigungsmaterial). - VPE / Verpackungseinheit
Bestell- und Lieferlogik: Bestellt wird in Packungen oder Kartons, verbraucht wird in Stück oder Meter. Häufige Fehlerquelle, wenn im System Stück geführt wird, aber beim Lieferanten nur Gebinde zu 100 Stück erhältlich sind. - Dispo / Disposition
Planung und Steuerung, wann und wie nachbestellt wird (manuell oder automatisch). Der Begriff stammt aus der Logistik und beschreibt die bedarfsorientierte Materialplanung. - Bestellvorschlag
System schlägt Nachbestellung vor, Mensch gibt frei oder korrigiert. Diese halbautomatische Variante kombiniert Systemlogik mit menschlicher Kontrolle. - Meldebestand / Bestellpunkt
Schwellenwert: Wenn Bestand unter diesen Wert fällt, wird Nachbestellung ausgelöst. Der Meldebestand berücksichtigt Lieferzeit und Sicherheitsbestand. - Sicherheitsbestand
Puffer für unerwartete Bedarfsspitzen oder Lieferverzögerungen. Verhindert Fehlteile, bindet aber Kapital. - Lieferzeit / Wiederbeschaffungszeit
Zeit zwischen Bestellung und Wareneingang. Kritischer Faktor für alle regelbasierten Methoden, weil der Meldebestand die Lieferzeit überbrücken muss. - Bedarfsmeldung / BANF
BANF steht für Bestellanforderung (Begriff aus SAP). Mitarbeitende melden internen Bedarf, zentrale Stelle bündelt und bestellt. - Konsignationslager
Ware liegt beim Kunden (bei Ihnen im Lager), gehört aber bis zur Entnahme dem Lieferanten. Sie zahlen nur für entnommenes Material. Reduziert Kapitalbindung, erhöht aber Abhängigkeit. - VMI (Vendor Managed Inventory)
Lieferant übernimmt Bestandsverantwortung: Er prüft regelmäßig Ihre Bestände und füllt eigenverantwortlich nach. Entlastung für Sie, Kontrollverlust über Sortiment und Preise. - Rahmenvertrag / Kontrakt
Vereinbarung über Konditionen (Preise, Rabatte, Lieferzeiten) ohne konkrete Mengen. Einzelbestellungen erfolgen dann per Abrufauftrag zu den vereinbarten Konditionen. - Abrufauftrag / Call-off
Einzelbestellung auf Basis eines Rahmenvertrags. Mengen flexibel, Preise fix.
Beschaffungsmethoden im Überblick
Beschaffungsmethoden lassen sich in zwei Achsen ordnen:
- Manuell versus regelbasiert sowie
- Kunden- versus lieferantengesteuert.
Je nach Betriebsgröße, Verbrauchsprofil und Teamdisziplin passt eine andere Kombination.
Die Praxis zeigt neun Methoden, die in deutschen Betrieben tatsächlich zum Einsatz kommen:
- Manuelle Einzelbestellung (ad-hoc, Spot Buying)
- Bedarfsmeldung / BANF (zentrale Bestellstelle)
- Sammelbestellung / Bestellzyklus (feste Bestellzeitpunkte)
- Bestellpunktverfahren / Meldebestand (Reorder Point)
- Min-/Max-Verfahren (Auffüllen bis Zielbestand)
- Kanban (2-Behälter-System, eKanban)
- VMI / Regalservice / Konsignation (lieferantengesteuert)
- Rahmenvertrag + Abruf (Kontrakt + Call-off)
- Projektbeschaffung vs. Lagerbeschaffung (Strategieentscheidung)
Keine dieser Methoden ist "die beste". Die passende Methode hängt davon ab, wie viele Artikel Sie führen, wie vorhersehbar Ihr Verbrauch ist, wie zuverlässig Ihre Lieferanten liefern und wie diszipliniert Ihr Team Lagerbewegungen dokumentiert.
Die 9 wichtigsten Methoden im Detail
1) Manuelle Einzelbestellung
Was ist manuelle Einzelbestellung? Material fehlt, jemand bestellt spontan per Telefon, E-Mail oder Online-Shop ohne übergeordnetes System oder Regelwerk.
Fachbegriffe: Einzelbestellung, Bedarfsbestellung, Freitextbestellung, Spot Buying
So läuft es ab:
Mitarbeiter bemerkt Materialmangel, ruft Lieferanten an oder bestellt im Shop. Keine vorherige Planung, keine systematische Bündelung, keine Kontrolle über Bestellmengen oder Liefertermine.
Gut geeignet für:
Seltene Artikel, Sonderteile, unregelmäßiger Bedarf, sehr kleine Betriebe mit unter fünf Mitarbeitern und geringem Materialumschlag. Wenn Sie pro Monat weniger als zehn Bestellungen aufgeben, reicht diese Methode oft aus.
Typische Probleme:
- Viele kleine Bestellungen treiben Prozesskosten (Zeit, Versandkosten, Rechnungsabwicklung)
- Fehlbestellungen durch falsche VPE (Verpackungseinheiten) oder Artikelverwechslungen
- "Notfallfahrten" und Expresskosten zu Großhändler oder Baumarkt werden zur Normalität, weil niemand Bestände überblickt
- Keine Bündelung führt zu schlechteren Einkaufskonditionen
Signal, dass Sie rausgewachsen sind:
Wenn die Frage "Wer bestellt das?" häufiger fällt als "Was brauchen wir?", ist ein Regelwerk überfällig.
2) Bedarfsmeldung / BANF (Bestellanforderung)
Was ist Bedarfsmeldung? Mitarbeitende melden internen Bedarf an eine zentrale Stelle, die Bestellungen bündelt und freigibt.
Fachbegriffe: Bedarfsmeldung, Materialanforderung, BANF (Bestellanforderung, SAP-Begriff), Entnahmemeldung
So läuft es ab:
Lagerverantwortlicher, Geselle oder Monteur meldet fehlende Artikel (Liste, App, Excel). Büro, Chef oder Einkauf sammelt diese Meldungen, bündelt sie nach Lieferant und gibt Sammelbestellungen auf.
Gut geeignet für:
Betriebe mit fünf bis 20 Mitarbeitern, die Ordnung und Kontrolle über Beschaffung wollen, ohne jede Kleinigkeit freizugeben. Funktioniert gut, wenn eine Person zentral für Einkauf verantwortlich ist.
Vorteile:
- Klare Verantwortlichkeit (wer bestellt wann)
- Weniger Chaos durch Bündelung verwandter Artikel
- Bessere Verhandlungsposition durch größere Bestellmengen
Nachteile:
- Abhängigkeit von Disziplin: Wenn Meldungen liegen bleiben oder zu spät erfolgen, steht die Baustelle trotzdem
- Keine Automatisierung: Jemand muss manuell sammeln, prüfen, freigeben
Praxis-Tipp:
Bedarfsmeldung funktioniert nur, wenn "Melden" weniger Aufwand bedeutet als "selbst schnell holen". Digitale Formulare oder Scan-Apps senken die Schwelle erheblich gegenüber Papierzetteln.
3) Sammelbestellung / Bestellzyklus
Was ist Sammelbestellung? Es gibt feste Bestellzeitpunkte (zum Beispiel täglich 17:00 Uhr oder jeden Freitag), zu denen alle aufgelaufenen Bedarfe gesammelt bestellt werden.
Fachbegriffe: Sammelbestellung, Bestellrhythmus, periodische Disposition, Bestellfenster, zyklische Beschaffung
So läuft es ab:
Alle Bedarfe werden bis zum nächsten Bestellzeitpunkt gesammelt. Punkt 17:00 Uhr wird geprüft: Was ist unter Meldebestand gefallen, was wurde gemeldet? Eine Sammelbestellung geht raus.
Gut geeignet für:
Verbrauchsmaterial mit planbarem Grundrauschen, wenn Sie Bestellaufwand reduzieren wollen, ohne auf Automatisierung zu setzen. Besonders sinnvoll bei Lieferanten mit Mindestbestellwerten oder Versandkostenstaffeln.
Vorteile:
- Weniger Bestellungen bedeutet weniger Prozesskosten
- Bessere Bündelung führt zu besseren Konditionen
- Reduziert Versandkosten durch größere Lieferungen
Nachteile:
- Risiko von Fehlteilen zwischen den Zyklen, wenn Sicherheitsbestände fehlen
- Längerer Zeitraum zwischen Bedarfserkennung und Lieferung
- Erfordert Puffer (Sicherheitsbestand), sonst verschiebt sich Stress nur
Praxis-Tipp:
Bestellzyklus braucht einen Mindestpuffer. Wenn Sie täglich bestellen, reicht oft ein Sicherheitsbestand für zwei Tage. Bei wöchentlicher Bestellung brauchen Sie mindestens zehn Tage Puffer.
4) Bestellpunktverfahren / Meldebestand
Was ist das Bestellpunktverfahren? Wenn der Bestand eines Artikels auf oder unter den Meldebestand fällt, wird automatisch oder als Vorschlag nachbestellt.
Fachbegriffe: Meldebestand, Bestellpunktverfahren, Reorder Point (ROP), Bestellvorschlag, ereignisbasierte Disposition
So läuft es ab:
Für jeden Artikel wird ein Meldebestand definiert (zum Beispiel 50 Stück). Sobald durch Entnahmen der Bestand auf 50 oder darunter fällt, löst das System eine Bestellung aus (automatisch) oder erstellt einen Bestellvorschlag (halbautomatisch zur manuellen Freigabe).
Gut geeignet für:
Artikel mit regelmäßigem, einigermaßen vorhersehbarem Verbrauch, wenn Bestände digital geführt oder zuverlässig geschätzt werden können. Funktioniert besonders gut für B- und C-Teile mit mittlerer bis hoher Umschlagshäufigkeit.
Vorteile:
- Einfach zu verstehen und zu implementieren
- Stabil im Alltag, wenig manuelle Eingriffe nötig
- Reagiert ereignisbasiert auf tatsächlichen Verbrauch
Nachteile:
- Steht und fällt mit sauberen Stammdaten: richtige Meldebestände, korrekte Lieferzeiten, saubere Einheiten
- Reagiert nicht auf Bedarfsschwankungen (saisonale Spitzen, Großprojekte)
- Erfordert disziplinierte Bestandsführung
Typischer Fehler:
Meldebestand wird "aus dem Bauch" gesetzt und nie angepasst. Richtige Berechnung: Meldebestand = (durchschnittlicher Tagesverbrauch × Lieferzeit in Tagen) + Sicherheitsbestand.
Beispiel:
Ein Elektrikerbetrieb verbraucht durchschnittlich 20 Klemmen Typ WAGO 221-412 pro Tag. Lieferzeit beträgt drei Tage. Sicherheitsbestand 40 Stück (zwei Tage Puffer). Meldebestand = (20 × 3) + 40 = 100 Stück. Sobald Bestand auf 100 fällt, wird nachbestellt.
5) Min-/Max-Verfahren (Auffüllen bis Zielbestand)
Was ist das Min-Max-Verfahren? Wenn der Bestand unter einen Mindestbestand (Min) fällt, wird bis zum Maximalbestand (Max) aufgefüllt.
Fachbegriffe: Min/Max, Order-up-to-Level, automatische Disposition, Auffülllogik, S-Q-Regel (s = Mindestbestand, Q = Bestellmenge bis Max)
So läuft es ab:
Für jeden Artikel werden zwei Werte definiert: Mindestbestand (Min) und Maximalbestand (Max). Sobald der Bestand unter Min fällt, wird automatisch so viel nachbestellt, dass nach Lieferung wieder Max erreicht wird.
Gut geeignet für:
C-Teile und Standardartikel mit regelmäßigem Verbrauch, wenn Sie "immer genug vorrätig" haben wollen, ohne jedes Mal neu Mengen zu berechnen. Ideal für Betriebe, die Lagerplatz haben und Kapitalbindung weniger kritisch sehen als Liefersicherheit.
Vorteile:
- Sehr wenig Denkarbeit im Alltag (System regelt sich weitgehend selbst)
- Hohe Lieferfähigkeit, weil Max-Bestand als Puffer dient
- Einfach zu verstehen für alle Beteiligten
Nachteile:
- Falsches Max führt zu Überbestand, totem Kapital und Platzproblemen
- Keine Reaktion auf saisonale Schwankungen
- Bindet mehr Kapital als bedarfsgenauere Methoden
Praxis-Tipp:
Max nicht als "was wäre schön" definieren, sondern als realistische Reichweite (zwei bis sechs Wochen je Artikel, abhängig von Lieferzeit und Verbrauchsstabilität). Beispiel: Wenn Sie 100 Dübel pro Woche verbrauchen und Lieferzeit zwei Wochen beträgt, könnte Min = 200 (zwei Wochen) und Max = 600 (sechs Wochen) sein.
Sie wollen genau wissen, die Min-Max funktioniert und wie man es intergriert, anwendet und lebt? Dann lesen Sie gerne im folgenden Blog weiter → zum Praxisleitfaden Min/Max.
6) Kanban (2-Behälter) / eKanban
Was ist Kanban? Ein Signalsystem, bei dem Behälter 1 verbraucht wird, während Behälter 2 als Puffer dient. Wenn Behälter 1 leer ist, wird nachgefüllt.
Fachbegriffe: Kanban (japanisch: Karte/Signal), 2-Behälter-Kanban, Kanban-Karte, eKanban (elektronisches Kanban), Pull-System
So läuft es ab:
Für jeden Artikel stehen zwei identische Behälter bereit. Behälter 1 steht vorne und wird entnommen. Behälter 2 steht dahinter als Reserve. Wenn Behälter 1 leer ist, wird die Kanban-Karte umgedreht (oder gescannt bei eKanban), das löst Nachbestellung aus. Behälter 2 wandert nach vorne, Behälter 1 wird nachgefüllt und nach hinten gestellt.
Gut geeignet für:
Hochfrequente C-Teile (Schrauben, Dübel, Klemmen, Kabelbinder) mit stabilem Verbrauch, wenn Sie Lagerdisziplin vereinfachen wollen und physischen Platz für doppelte Behälter haben.
Vorteile:
- Extrem robust, "idiotensicher" im positiven Sinn
- Kein Zählen oder Wiegen nötig
- Visuell sofort erkennbar (leerer Behälter = Signal)
- Selbstregulierend: Schneller Verbrauch führt zu schnellerer Nachbestellung
Nachteile:
- Setup-Aufwand (Behälter beschaffen, Plätze einrichten, Behältergrößen definieren, Startbestückung)
- Braucht Platz (doppelte Behälter für jeden Artikel)
- Digital (eKanban) löst nicht automatisch das Prozessdesign (Behälterlogik muss trotzdem sauber sein)
Praxis-Tipp:
Kanban ist kein Tool. Es ist ein Signalprozess. Digitalisieren ohne saubere Behälterlogik bringt wenig. Behältergröße sollte etwa zwei bis vier Wochen Verbrauch entsprechen, abhängig von Lieferzeit.
Beispiel:
Ein Installateurbetrieb verbraucht 200 Kabelbinder pro Woche. Lieferzeit beträgt eine Woche. Behältergröße = 400 Stück (zwei Wochen). Sobald Behälter 1 leer ist (Kanban-Signal), bleibt noch Behälter 2 mit 400 Stück. Bis Nachschub kommt (eine Woche), reichen 400 Stück für zwei Wochen Verbrauch locker aus.
7) Lieferantengesteuert: VMI / Regalservice / Konsignation
Was ist lieferantengesteuerte Beschaffung? Der Lieferant übernimmt Verantwortung für Bestandskontrolle und Nachschub. Bei Konsignation bleibt Ware bis zur Entnahme im Besitz des Lieferanten.
Fachbegriffe: VMI (Vendor Managed Inventory), Regalservice, Lieferantenregal, Konsignationslager, CMI (Customer Managed Inventory als Gegenstück)
So läuft es ab:
Der Lieferant prüft regelmäßig (wöchentlich oder nach vereinbartem Rhythmus) Ihre Bestände vor Ort oder per digitaler Schnittstelle. Er füllt eigenverantwortlich nach. Bei Konsignation zahlen Sie nur für entnommenes Material, nicht für Lagerbestand.
Gut geeignet für:
Betriebe, die maximale interne Entlastung wollen und klare Lieferantenbindung akzeptieren. Besonders verbreitet bei Schraubengroßhandel, Arbeitsschutzartikeln und Schleifmitteln.
Vorteile:
- Minimaler interner Aufwand (kein Zählen, Bestellen, Disponieren)
- Reduzierte Kapitalbindung bei Konsignation
- Lieferant optimiert Sortiment und Bestände selbst
Nachteile:
- Starke Abhängigkeit / Lock-In (Sortiment, Preislogik, Transparenz)
- Wenn Daten oder Absprachen schlecht sind, verschwindet Verantwortung in einem Graubereich ("dachte, ihr macht das")
- Weniger Flexibilität bei Lieferantenwechsel
- Oft teurer pro Artikel als Eigenbeschaffung
Praxis-Tipp:
VMI braucht klare Service-Level-Agreements: Besuchsfrequenz, Mindestbestände, Reklamationslogik, Preisanpassungsregeln, Kündigungsfristen. Ohne schriftliche Vereinbarung wird VMI zum Blackbox-Problem.
8) Rahmenvertrag + Abruf
Was ist Rahmenvertrag plus Abruf? Konditionen (Preise, Rabatte, Lieferzeiten) sind im Rahmenvertrag fix vereinbart. Einzelbestellungen erfolgen per Abrufauftrag mit flexiblen Mengen.
Fachbegriffe: Rahmenvertrag, Kontrakt, Konditionsvereinbarung, Abrufauftrag, Call-off, Blanket Order
So läuft es ab:
Sie verhandeln mit einem Lieferanten einen Rahmenvertrag: "Für ein Jahr gelten folgende Preise für diese Artikel." Wenn Sie Material brauchen, geben Sie Abrufaufträge ab: "Gemäß Rahmenvertrag Nr. 12345, liefern Sie bitte 500 Stück Artikel XYZ."
Gut geeignet für:
Wiederkehrende Artikel mit stabilem Lieferanten und planbarem Jahresvolumen. Besonders sinnvoll bei Standardsortimenten (Kabel, Rohre, Verschraubungen), die regelmäßig in wechselnden Mengen gebraucht werden.
Vorteile:
- Preis- und Prozessstabilität (keine Neuverhandlung bei jeder Bestellung)
- Schnellere Bestellabwicklung (Konditionen stehen fest)
- Mengenrabatte durch vereinbarte Jahresvolumina
Nachteile:
- Funktioniert schlecht, wenn Sortiment ständig springt
- Bindet Sie für Zeitraum des Kontraktes an einen Lieferanten (Wechsel schwieriger)
- Wenn Sie vereinbarte Volumina nicht erreichen, drohen Nachberechnungen
Praxis-Tipp:
Rahmenverträge lohnen sich ab etwa 20.000 Euro Jahresvolumen pro Lieferant. Darunter überwiegt der Verwaltungsaufwand den Nutzen. Verhandeln Sie flexible Mindestabnahmemengen oder verzichten Sie ganz darauf, wenn Verbrauch schwankt.
9) Projektbeschaffung vs. Lagerbeschaffung (Strategieentscheidung)
Was ist der Unterschied zwischen Projektbeschaffung und Lagerbeschaffung? Sie entscheiden pro Material:
- Wird es ins Lager geliefert (Lagerbeschaffung) oder
- direkt auf die Baustelle (Projektbeschaffung, Direktlieferung)?
Fachbegriffe: Baustellenbelieferung, Direktlieferung, Projektbeschaffung, Vorratsbeschaffung, Konsignation auf Baustelle
So läuft es ab:
Bei Lagerbeschaffung bestellen Sie Standardmaterial ins Lager, von wo aus Mitarbeitende es für verschiedene Baustellen entnehmen. Bei Projektbeschaffung bestellen Sie projektspezifisches Material direkt an die Baustelle, es wandert nie ins zentrale Lager.
Faustregel:
- Standard-Verbrauchsmaterial = Lagerlogik (Bestellpunkt/MinMax/Kanban): Schrauben, Dübel, Klemmen, Handschuhe, Schleifmittel
- Projekt-/objektspezifisch = Direktlieferung / Projektbeschaffung: Sonderanfertigungen, Großmengen für ein Projekt, kundenspezifische Artikel
Typischer Fehler:
Alles direkt liefern lassen. Dann wird jede Baustelle zum Mini-Lager mit Schattenbeständen (Material liegt in Transportern, Containern, wird zwischen Baustellen verschoben). Sie verlieren Überblick und zahlen Lieferkosten mehrfach.
Praxis-Tipp:
Unterscheiden Sie klar:
- Was brauchen Sie übergreifend (ins Lager)?
- Was ist projektspezifisch (direkt auf Baustelle)?
Hybridmodelle funktionieren: Standardmaterial ins Lager, Sonderteile direkt.
Entscheidungshilfe: Welche Methode passt zu Ihrem Betrieb?
Die "beste" Beschaffungsmethode gibt es nicht. Es gibt nur die Methode, die zu Ihrem Alltag passt: Teamgröße, Verbrauchsprofil, Lieferzuverlässigkeit, Lagerdisziplin.
Wenn Sie…
- …wenige Artikel haben und selten Fehlteile:
→ Bestellzyklus + Sammelbestellung
Sie sammeln Bedarfe bis zum festen Bestelltermin (täglich oder wöchentlich) und geben eine Sammelbestellung auf. Einfach, spart Prozesskosten, funktioniert ohne IT. - …häufige C-Teile haben und Chaos beim Nachfüllen:
→ Kanban (2-Behälter) oder VMI/Regalservice
Kanban, wenn Sie Prozess selbst kontrollieren wollen. VMI, wenn Sie maximale Entlastung suchen und Lieferantenbindung akzeptieren. - …Bestand halbwegs kennen und Regelwerk wollen:
→ Bestellpunkt (Meldebestand) oder Min/Max
Bestellpunkt für feinere Steuerung (reagiert auf Verbrauch), Min/Max für simplere Logik (füllt immer bis Max auf). - …einfach "auffüllen bis voll" wollen:
→ Min/Max
Wenig Kopfarbeit, hohe Liefersicherheit, braucht aber Platz und bindet Kapital. - …maximal auslagern wollen und Lieferantenbindung ok ist:
→ VMI/Regalservice
Lieferant kümmert sich um alles. Sie zahlen pro Entnahme oder fix pro Monat. - …Volumen und Stabilität haben:
→ Rahmenvertrag + Abruf
Konditionen fix, Bestellungen flexibel. Lohnt sich ab etwa 20.000 Euro Jahresvolumen pro Lieferant. - …ständig Sonderteile haben:
→ Einzelbestellung (Spot Buying), aber bewusst als Ausnahme
Für echte Sonderteile ist manuelle Bestellung richtig. Aber Standard-C-Teile gehören in eine der anderen Methoden.
Entscheidungsmatrix nach Betriebsgröße:
| Mitarbeiter | Empfohlene Methode | Warum |
|---|---|---|
| 1-5 | Manuelle Einzelbestellung oder Sammelbestellung | Wenig Volumen, Regelwerk wäre Overhead |
| 5-15 | Bedarfsmeldung + Sammelbestellung oder Bestellpunkt | Zentraler Einkauf bündelt, erste Automatisierung |
| 15-30 | Bestellpunkt oder Min/Max + Kanban für Top-Verbraucher | Mischung: Regelbasiert für Hauptartikel, manuell für Rest |
| 30+ | Min/Max + Kanban + VMI für Standardsortimente | Mehrere Methoden parallel je Artikelgruppe |
Typische Fehlerquellen und wie Sie sie vermeiden
Selbst mit der richtigen Methode scheitern Betriebe oft an vermeidbaren Detailfehlern. Diese Fehlerquellen tauchen in Praxis-Projekten mit Handwerksbetrieben immer wieder auf.
Einheiten-Chaos (Stück vs. VPE)
Bestellt wird in Packungen (VPE), verbraucht in Stück. Ohne klare Regel eskaliert jede Disposition. Beispiel: Meldebestand steht auf 50, Sie bestellen 50, Lieferant liefert 50 Packungen à 100 Stück. Plötzlich haben Sie 5.000 Stück statt erwarteter 50.Lösung:
Definieren Sie für jeden Artikel eine Lagereinheit (meist Stück) und eine Bestelleinheit (VPE). System muss beide kennen und umrechnen können. Wenn VPE = 100 Stück und Meldebestand = 50 Stück, bestellt das System 1 VPE (nicht 50 VPE).Keine Verantwortlichkeit
Wenn "jeder darf melden" aber "niemand muss bestellen", entsteht ein schwarzes Loch. Bedarfsmeldungen laufen auf, niemand fühlt sich zuständig, Baustelle wartet.Lösung:
Eine Person ist verantwortlich für Disposition und Freigabe. Darf nicht diffus sein ("Team kümmert sich"). Name, Rolle, Vertretungsregelung festlegen.Schattenbestände
Material liegt in Autos, Baustellenkisten, Schubladen, privaten "Notvorräten". Bestand "im System" ist dann Fantasy. Meldebestände greifen nicht, weil tatsächlich mehr da ist, nur nicht erfasst.Lösung:
Zentrale Lagerorte definieren, alle anderen als Verbrauch behandeln. Material, das ins Auto geht, ist verbraucht. Regelmäßige Inventuren (monatlich bei A-Teilen, quartalsweise bei B-Teilen, jährlich bei C-Teilen).Keine Anpassung der Regeln
Meldebestand/Min/Max wird einmal gesetzt ("haben wir immer so gemacht") und nie nachgezogen, obwohl Teams, Baustellen, Lieferzeiten und Lieferanten sich ändern.Lösung:
Quartalsweise Review der Top-30-Verbrauchsartikel. Fragen: Gab es Fehlteile? Gab es Überbestand? Hat sich Lieferzeit geändert? Verbrauch gestiegen/gefallen? Regeln nachschärfen.Lieferzeiten falsch geschätzt
Lieferant verspricht zwei Tage, liefert aber oft fünf Tage. Ihr Meldebestand ist auf zwei Tage Lieferzeit kalkuliert. Fehlteile sind vorprogrammiert.Lösung:
Realistische Lieferzeiten erfassen, nicht optimistische Versprechen. Durchschnitt der letzten zehn Lieferungen ist realistischer als Katalogangabe.Keine Unterscheidung nach Verbrauchsprofil
Alle Artikel werden gleich behandelt, obwohl manche täglich verbraucht werden, andere monatlich. Führt zu massivem Overengineering oder Untersteuerung.Lösung:
ABC-XYZ-Analyse:A-Teile (wertvolle Artikel) bekommen mehr Aufmerksamkeit
C-Teile (geringer Wert) bekommen simple Methoden (Kanban/Min-Max)
X-Artikel (konstanter Verbrauch) passen zu Meldebestand und Min/Max
Z-Artikel (unregelmäßig) brauchen manuelle Steuerung.
Praxis-Setup für kleine Handwerksbetriebe (ohne IT-Projekt)
Viele Betriebe scheitern nicht an Theorie, sondern an Umsetzung. Hier ein pragmatischer Fahrplan für Betriebe, die mit Excel oder einfacher Software arbeiten und keine monatelangen IT-Projekte stemmen können.
Wichtig: Es kann hilfreich sein, sich auf eine Methode zu beschränken, um die Komplexität für die Mitarbeiter zu reduzieren. Die besten Systeme funktionieren nur, wenn sie auch gelebt werden. Entscheiden Sie sich zu beginn für eine, die leicht einzuführen und zu testen ist.
- Top-30 Verbrauchsartikel festlegen
Listen Sie die 30 Artikel auf, die ständig fehlen oder häufig nachbestellt werden. Nicht die teuersten, sondern die nervigsten. Das sind meist Schrauben, Dübel, Klemmen, Kabel, Handschuhe, Schleifmittel. - Pro Artikel Methode entscheiden
Für jeden dieser 30 Artikel:- Kanban oder Min/Max oder Bestellpunkt?
- Faustregel: Wenn täglich entnommen und Lieferung zuverlässig, dann Kanban.
- Wenn wöchentlich entnommen und Verbrauch schwankt, dann Min/Max.
- Wenn selten entnommen, dann Bestellpunkt.
- Kanban oder Min/Max oder Bestellpunkt?
- Einheiten sauber ziehen
Für jeden Artikel: Lager-Einheit (wie zählen/lagern Sie?) und Bestell-Einheit (wie bestellt der Lieferant?). VPE beachten. In Excel-Tabelle dokumentieren. - Bestellzeitpunkt definieren
Ein fixes Bestellfenster reduziert Chaos. Beispiel: Jeden Montag und Donnerstag 16:00 Uhr werden alle Bestellvorschläge geprüft und freigegeben. Nicht "wenn Zeit ist", sondern fixer Termin. - Verantwortliche Rolle für Freigabe/Bestellung festlegen
Eine Person ist zuständig (Name). Vertretung festlegen. Nicht "Team" oder "wer gerade Zeit hat". - Nach vier Wochen Regeln nachschärfen
Review-Termin setzen. Fragen: Was hat gefehlt (Meldebestand zu niedrig)? Was war zu viel (Max zu hoch)? Lieferzeiten realistisch? VPE-Probleme? Regeln anpassen, nächster Review in vier Wochen.
Tool-Empfehlungen ohne große Investition:
- No Budget: Excel/Google Sheets: Für Bestandsliste, Meldebestände, VPE-Tabelle. Kostenlos, flexibel.
- Low Budget: Automatisierte Disposition über repleno oder andere Tools mit Min/Max und Bestellvorschlägen. Speziell für Handwerksbetriebe gebaut, kostet ab 25 Euro/Monat.
- Tipp: Scannen statt Zählen: Barcode-Scanner (ab 50 Euro) oder Smartphone-Apps beschleunigen Bestandserfassung erheblich.
Fortführender Artikel: Die beste Lagerverwaltung im Handwerk ohne ERP → Klick
Fazit
Beschaffungsmethoden sind kein Luxus für Großbetriebe. Sie sind das Regelwerk, das darüber entscheidet, ob Ihr Team produktiv auf Baustellen arbeitet oder ständig Material organisiert. Die richtige Methode passt zu Ihrem Verbrauchsprofil, Ihrer Teamgröße und Ihrer Lagerdisziplin.
Zwei Dinge sind entscheidend:
- Ein klares Signal, das Bedarf zuverlässig auslöst (Meldung, Scan, Kanban-Signal, Schwellenwert)
- Ein klares Regelwerk, das daraus eine Bestellung macht (Zyklus, Bestellpunkt, Min/Max, Lieferantenservice)
Vorgehen:
- Starten Sie mit Ihren Top-30 Verbrauchsartikeln
- Wählen Sie mit einer Methode
- Legen Sie Verantwortlichkeiten fest.
- Überprüfen Sie nach vier Wochen, was funktioniert und was nicht.
- Passen Sie an.
- Wiederholen Sie.
Autor Christoph sagt:
Beschaffung ist kein Projekt mit Enddatum. Es ist ein Prozess, der sich mit Ihrem Betrieb entwickelt. Aber mit der richtigen Grundlage verwandeln Sie Chaos in Routine - und gewinnen Zeit für das, was wirklich Geld bringt: Umsetzung Ihrer Aufträgte statt Zeitverlust im Lager.
